Das Land der Aufrechten zwischen Vergangenheit und Zukunft

Seit dem Wochenende kennt Burkina Faso seinen neuen Präsidenten: Michel Kafando, ehemaliger hochrangiger Diplomat und 72 Jahre alt. Genauer, er ist Übergangspräsident für die folgenden 12 Monate und vorläufiges Resultat des Volksaufstands, der am 30.Oktober 2014 Blaise Compaoré nach 27 Jahren aus dem Amt und in die benachbarte Côte d’Ivoire fegte. Direkt nach dem 30.Oktober füllte das Militär das entstandene Machtvakuum aus und stellte die öffentliche Ordnung wieder her. Oberstleutnant Yacouba Isaac Zida wurde nach einigen Querelen schlussendlich Gesicht und Präsident der ersten Tage nach Blaise Compaoré und organisierte unter scharfer Beobachtung der internationalen Gemeinschaft und mittels aller relevanten Akteure in Burkina Faso einen Übergangsprozess, der mit allgemeinen Wahlen von Parlament und Präsident im Herbst 2015 enden soll.Es war eine eindrucksvolle Demonstration der Macht des Volkes, die sich ab dem 28.Oktober 2014 beobachten ließ. Hunderttausende waren bereits an diesem Dienstag, zwei Tage vor dem Umsturz, in der Hauptstadt Ouagadougou und Bobo-Dioulasso auf die Straße gegangen. Die Woche zuvor waren ein paar Reifen verbrannt und Barrikaden errichtet worden, doch nur wenig hatte für den externen Beobachter auf eine solche Entladung allgemeiner Wut und Empörung hingedeutet. Viele Burkinabés waren tatsächlich wütend und zeigten sich im Vorfeld beeindruckend überzeugt, dass Blaise Compaoré diesmal jedes Maß überschritten habe, indem er sich durch die angestrebte Änderung des Verfassungsartikels 37 drei weitere Amtszeiten verschaffen wolle. Ich vertrat bis zuletzt die These, dass sich die Opposition überschätze und dass bis auf einige zehntausend versprengte Demonstranten am Tag der Abstimmung über Artikel 37, nichts passieren werde. Sie würden die schweigende Masse nicht übertönen können.
Doch die Empörung darüber, was sich die korrupte politische Klasse leistet und geleistet hatte, war zu groß und erwuchs sich zu eben jenem Aufstand, der u.a. zu einer Stürmung des Parlaments führte. Diese Empörung konnte aber möglicherweise nur deshalb zu eben jener (für Subsahara-Afrika bis hierhin beispiellosen) Entladung führen, weil sie sich mit dem sehr ausgeprägten Stolz vieler Bukinabés auf ihr Land und ihre Identität verband. Wer in Afrika „Burkina Faso“ sagt, sagt gleichzeitig Thomas Sankara. Das ist die erste Assoziation, die einem begegnet, und sie ist entgegen der Gewohnheit positiv. Seit der Machtübernahme Sankaras (1983) und der Umbenennung von Obervolta in Burkina Faso (1984) verband man in Afrika, aber auch in interessierten Kreisen außerhalb des Kontinents etwas mit Burkina Fasos. Es fiel einem etwas zu Burkina Faso ein, während einem zu Obervolta nur das einfiel, was einem auch zu den meisten anderen Ländern Afrikas eingefallen wäre. Und ebenso wie der jetzige Volksaufstand, war auch die Amtszeit Thomas Sankaras und seine unorthodoxe Politik beispiellos für Afrika und ist es auch geblieben (und damit soll nicht gesagt werden, dass unter Thomas Sankara alles gut war). Am Tag der Abstimmung im Parlament führten dieser Stolz und diese Empörung nun dazu, dass hauptsächlich Jugendliche begannen, Plätze und Barrikaden zu überrennen, die mit gepanzerten Fahrzeugen und schwer bewaffneten Militärs gesichert waren. Glücklicherweise trafen sie auf Soldaten, die schnell und ohne Gegenwehr das Weite suchten, so dass noch bevor irgendeine organisierte Demonstration richtig begonnen hatte, schon das Parlament in Flammen stand und man ausgelassene Demonstranten auf den Sitzbänken der Abgeordneten rumspringen sah. Soweit man es überblicken kann, wurden Demonstranten da erschossen, wo es gegen die Familie Compaoré ging. Am Prâsidentenpalast, dem Kosyam, soll es Schüsse auf Demonstranten gegeben haben, und bei der Erstürmung des Anwesens Francois Compaorés sollen zwischen einem und drei Menschen getötet worden sein. Doch dies war in dem Fall nicht das Militär das schoss, sondern die Präsidentengarde (Régiment de sécurité présidentielle – RSP).

Und hier schließt sich ein wenig der Kreis. Ebenso wie unklar ist, wie viele Menschen an diesem Tag starben, genauso unklar ist, wer tatsächlich verantwortlich für die Schüsse ist. Der Chef der Präsidentengarde Gilbert Diendéré war noch nach dem Umsturz bei den ersten Sondierungen dabei, die Nummer 2 der Präsidentengarde, Oberstleutnant Isaac Zida wurde Präsident und übergibt diesen Posten am Freitag an den neuen zivilen Übergangspräsidenten Michel Kafando. Zida hat alles dafür getan, in der Bevölkerung beliebt zu werden. Seine letzten Reden nahmen einige Anleihen bei Thomas Sankara, dessen Diskurse im kollektiven Gedächtnis der Burkinabés fest verankert sind. Er entließ Zöglinge Blaise Compaorés aus hohen Positionen und benannte das große Krankenhaus in Hauptstadt Ouagadougou, das den Namen des Langzeitpräsidenten trug, nach einem Oppositionspolitiker um, der kurze Zeit vor dem Aufstand verstorben war. Von einer Verhaftung Diendieres sah er bisland allerdings ab.

„Was wurde zwischen dem Präsidenten Blaise Compaoré, dem Chef der Präsidentengarde Gilbert Diendéré und seiner Nummer 2, dem jetzigen Präsidenten Oberstleutnant Isaac Zida am 30.Oktober 2014 hinter verschlossenen Türen besprochen? Diese Frage beantworten zu können scheint entscheidend, um die derzeitigen Entwicklungen in Burkina Faso zu verstehen.“

Diese Frage formulierte die burkinische Internetzeitung LeFaso.net am 5.November 2014 und die Ungewissheit die sich dahinter verbirgt und die viele Burkinabés befallen hat, ist Folgende: war es tatsächlich schon eine Revolution, den alten Wohlfühldiktator zu stürzen, oder müssen die Menschen noch öfter auf die Straße gehen um zu verhindern, dass sich außer der Vertreibung der Familie Compaoré und einiger ehemaliger Minister, nichts verändern wird. Die Zivilgesellschaft ist wach, und sie hat sich als eine der stärksten in ganz Afrika erwiesen. Das wissen auch die Politiker. Die nächsten 12 Monate werden eine Phase des Übergangs sein, und entscheidend für die Zukunft Burkina Fasos. Das, was man bisher Opposition nannte, muss sich nach 27 Jahren ernsthaft damit auseinandersetzen, politische, d.h. gestaltende Macht zu erringen. Dabei sind einige der mächtigsten Oppositionellen Zöglinge Compaorés gewesen, von denen manche, wie Roch Kaboré und Salif Diallo im Januar 2014 die Gelegenheit nutzten, das vielleicht aus ihrer Sicht schon sinkende Boot der Präsidentenpartei CDP zu verlassen. Welche Rolle wird die Armee spielen und wie wird sich Oberstleutnant Zida verhalten, der in kurzer Zeit sehr populär geworden ist und auch sehr interessiert daran war, populäre Entscheidungen zu treffen. Wird er, trotz seines Master in International Management, den er 2014 in Lyon abschloss, wieder in seine langweilige Kaserne zurückkehren? Wie verhält sich die Zivilgesellschaft, die zeigen konnte, welche Macht sie hat, die sich aber nun der Gefahr ausgesetzt sieht, sich einerseits in Gegner und Befürworter einer Beteiligung der Armee an der Übergangsregierung aufzuspalten, andererseits sich im kommenden Jahr für eine konstruktive Alternative entscheiden zu müssen, die ab den Wahlen im Herbst 2015 die Regierungsgeschäfte übernehmen soll.

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