Leider kein Schiedsrichterstuhl zu Weihnachten

Seit vergangener Woche liegt eine erste Bilanz der Ereignisse um den 30.Oktober 2014 vor, die zum Sturz des Langzeitherrschers Blaise Compaoré führten, und einen gehörigen Teil seiner Kumpanen ins Exil trieben. Demnach kamen 19 Menschen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Protesten ums Leben, die meisten davon wurden erschossen, fünf weitere starben bei einem Ausbruchsversuch aus einem Gefängnis in Ouagadougou. Die Krankenhäuser verzeichneten insgesamt 625 Verletzte. Viele Verletzte werden aber sicherlich nicht den Weg ins Krankenhaus gesucht haben, da zu dem Zeitpunkt noch nicht klar war, ob am nächsten Tag nicht ein netter Mann in sauberer Uniform am Bett des Kranken erscheinen würde um ein paar ebenso nette Fragen zu stellen.
Die Untersuchungskommission listete auch die zahlreichen Plünderungen und Verwüstungen auf, die hauptsächlich in Ouagadougou und Bobo-Dioulasso stattgefunden hatten. Das Hôtel de l’Independence, das größte und bekannteste Hotel in Ouagadougou, das mittlerweile den Namen der Azalaï-Gruppe trägt und neben dem Parlamentsgebäude liegt, wurde am 30.Oktober 2014 komplett auseinandergenommen. Man findet in dem Gebäude keinen Stuhl mehr, keine Tür, nicht mal mehr Wasser im Hotelpool. Kein Fenster durch das nicht mindestens ein Stein gejagt wurde. Die Netze des Tennisplatzes wurden abmontiert und mitgenommen. Einziges Zeichen der weiterhin menschlichen Abhängigkeit von der Schwerkraft, waren die einige Meter weit gezogenen, dann aber zurückgelassenen Schiedsrichterstühle auf den Tennisplätzen. Das Azalaï-Hotel hatte den Fehler gemacht, die Parlamentarier am Tag vor der Abstimmung über die Verfassungsänderung bei sich einzuquartieren. Darauf angesprochen leugnete dies die Leiterin des Hotels. Kurz darauf gab es erste Berichte von eintreffenden Abgeordneten. Es war geplant, dass sie am nächsten Tag einfach nebenan ins Parlament marschieren, sich der Größe Blaise Compaorés erinnern und dann die Verfassungsänderung für seine Amtszeitverlängerung durchwinken. Doch es kam anders als gedacht. Und die riesige Ruine des Azalaï-Hotels erinnert daran.
Die lange erwartete Pressekonferenz der Bürgerbewegung „Le Balai Citoyen“, deren Mobilisierungskampagne maßgeblich zum Sturz Blaise Compaorés beigetrug, fand nun am vergangenen Donnerstag statt. Es war die erste Äußerung nach langem Schweigen, abgesehen von den Wortmeldungen einzelner Vertreter der Bewegung. Man hatte die Ernennung des Militärs Zida zum Premierminister unkommentiert gelassen, ebenso wie die vorherige Ernennung Kafandos zum Präsidenten. Dem eigenen Anspruch, der ein zweifellos hoher ist, Hüter der Revolution zu sein, wurde man in diesen aufregenden Tagen nicht gerecht. Es schien, als gebe es keine gemeinsame Position innerhalb der „Balai Citoyen“. Stattdessen konzentrierte man sich darauf, vermeintliche Günstlinge und Unterstützer des alten Regimes, die dem neu gebildeten Übergangsparlament angehören, per Foto auf Facebook abzubilden, mit dem Hinweis „Eindringling“ versehen. Doch Häme ist leicht verteilt, viel schwerer ist es, als Organisation die von Freizeitaktivisten geführt wird, tatsächlich Verantwortung übernehmen zu müssen und sich der Sache bewusst zu werden, dass alle Scheinwerfer nun auf einen selbst gerichtet sind. Die „Balai Citoyen“ teilen dieses Problem mit den politischen Parteien, die nicht länger Opposition sind. Nach 27 Jahren ohne tatsächliche Hoffnung auf Änderung an dessen Ende eine Revolution stand, die quasi über Nacht gekommen war, muss man sehr vieles verzeihen. Auch, dass die Pressekonferenz nicht das hergab, was sich viele von ihr erwartet hatten.
Ihr Pressesprecher erinnerte an die verstorbenen Mistreiter, sieben von ihnen werden am heutigen Dienstag gemeinsam beerdigt. Auf Initiative der „Balai Citoyen“ wurden mehrere tausend Euro gesammelt, die zur Behandlung der Verletzten eingesetzt werden sollen. Sie mahnten einen ordentlichen Übergang an, der ohne Verzögerung zurück in die politische Normalität führen solle. Besonders stellten sie heraus, dass eine Identifizierung und strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für die Toten während des Umsturzes, wie auch eine juristische Aufarbeitung der Compaoré-Zeit unerlässlich seien. Zudem müssten die großen, von Blaise und seinem Clan auf den Weg gebrachten Vorhaben in den Bereichen Bergbau, Infrastruktur und Staudammbau eingehend überprüft werden. Neben weiteren Forderungen, verteidigten sie ihr Vorgehen gegen die „Eindringlinge“ im Übergangsparlament.
Man kann die Methoden für bedenklich halten, und sie sind bedenklich, aber man muss auch die Logik der „Balai Citoyen“ und all derer verstehen, die in den Tagen des Umsturzes ihr Leben auf den Straßen Burkinas riskierten, Freunde verloren und selber möglicherweise verletzt wurden. Nach dieser rasanten Wendung durch den Sturz Compaorés gewann man mit auf einen Schlag so viel, und insbesondere so viel eigentlich Unerwartetes. Dies mag erklären, warum so peinlich genau auf die Vergangenheit vieler nun am politischen Prozess beteiligter Personen geachtet wird. (Die Menschen gingen am 30.Oktober 2014 auf die Straße um die Verfassungsänderung zu verhindern und kurz vor der Abstimmung im Parlament sah es so aus, als ob man nur noch auf die Straße geht um wenigstens noch eine Volksabstimmung über die Verfassungsänderung zu ermöglichen. Einen Rücktritt Compaorés nur einen Tag später hielten die meisten nicht für möglich, insbesondere da der Großteil der Demonstranten unter 27 war und nie einen anderen Präsidenten erlebt hatte. Übrigens sind ca. 65-70% der Bevölkerung Burkinas unter 27 Jahren).
Auf der Pressekonferenz verzichtete man auf eine Einordnung und Kritik der Personalien Kafando und Zida. Man hatte den richtigen Moment verpasst um den Mund aufzumachen, und es scheint weise, nun nicht im Nachhinein einige Salven hinterher zu feuern. Der Präsident und der Premierminister sorgten dafür, dass Burkina wieder in ruhigeres Fahrwasser geriet. Ihre Zeit ist begrenzt und ihre letzten Entscheidungen, wie beispielsweise die Absetzung Gilbert Diendérés, der rechten Hand Blaise Compaorés, als Chef der Präsidentengarde, zeugen davon, dass sie tatsächlich die Bevölkerung verstanden haben. Kafando und Zida und ihre Übergangsminister werden in 11 Monaten weg sein. Was danach geschieht liegt in den Händen derer, die sich bis vorkurzem noch Opposition nannten und die nun ein Programm erarbeiten müssen, dass über den ersten und einzigen Programmpunkt der meisten Programme politischer Parteien hinaus geht, der da heißt: „Wählt uns, damit wir die Macht haben.“ Die Zivilgesellschaft, mit den „Balai Citoyen“ als ihr prominentester Vertreter, tut gut daran, die Parteien in diesem Prozess eng zu begleiten.

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