Den Unantastbaren ein bisschen befummeln

Am 27.November 2014 ließ Michel Kafando verlauten, dass Gilbert Diendéré nicht länger Chef der Präsidentengarde Burkina Fasos sei. Diendéré, heute 55 Jahre alt, galt als rechte Hand Blaise Compaorés und mittels seiner Beziehungen und seines Wissen als unantastbar im Land der Aufrechten. Er hatte so ziemliche jede Drecksarbeit erfüllt in den letzten 27 Jahren, die Blaise ihm aufgetragen hatte und sich dabei besonders dadurch ausgezeichnet, sich nicht in Konflikte zwischen Gehorsam und Gewissen verstricken zu lassen.

“ Wir wurden informiert, dass Compaoré, Lingani und Zongo am Abend verhaftet würden. […] Unsere Reaktion darauf war, dass man Sankara verhaften müsse bevor das Unwiederbringliche geschieht […] Sankara trug wie gewöhnlich seine Waffe in der Hand, eine automatische Pistole. Er schoss sofort und tötete einen der unseren. In diesem Moment begannen alle Männer zu schießen.“

[Nous avons été prévenus] que Compaoré, Lingani et Zongo seraient arrêtés ce soir. […] Notre réaction a été qu’il fallait arrêter Sankara avant que l’irréparable ne se produise. […] Sankara tenait comme toujours son arme, un pistolet automatique, à la main. Il a immédiatement tiré et tué un des nôtres. À ce moment, tous les hommes se sont déchaînés. »)

Gilbert Diendéré, 1989

Soweit die Darstellung Gilbert Diendérés rund um den Tod Thomas Sankaras am 15.Oktober 1987, die er 1989 dem Schriftsteller Ludo Martens in den Block diktierte. In der Folge erklomm Blaise Compaoré die Macht und gab sie bis zum 31.Oktober 2014 nicht mehr her. Immer in seinem Schatten, und dies schon seit 1981, hielt sich besagter Gilbert Diendéré auf. Nach allem was man zu wissen glaubt, war er bei allen wichtigen Entscheidungen und Vorgängen in Burkina ebenso direkt involviert, wie bei der Ermordung Sankaras. Er kümmerte sich um die Staatsgäste in Ouagadougou, die gerade vom letzten begangenen Massaker oder dem letzten geführten Krieg etwas ausspannen mussten, bevor sie ihre Arbeit wieder rief (Charles Taylor, Dadis Camara, Guillaume Soro). Da man guten Freunden auch mal ein paar Waffen zukommen lässt, verantwortete er deren Versand, insbesondere nach Sierra Leone und in die Elfenbeinküste. Er baute die Präsidentengarde zu einer Armee in der Armee auf. 1000 speziell ausgebildete Einsatzkräfte, die in den Genuss kamen mit modernsten Waffen ausgestattet zu werden, während die reguläre Armee im Rost versank. Er unterhielt gute Beziehungen zu Amerikanern und Franzosen, die ihre Spezialkräfte in Burkina parken und angeblich wusste er immer vor allen anderen, wann ein Putsch oder eine Rebellion in Westafrika vorbereitet wurde. Im Norden Burkina Fasos soll er ein engmaschiges Netz von freiwilligen Informanten aufgebaut haben, dass das Einsickern von Islamisten aus Mali und Niger verhindern soll und möglicherweise bislang auch verhindert hat.
Diendére wird beschrieben als „Soldat der alles weiß, aber nichts sagt“. Und wenn er etwas sagt, dann nur Blaise. Seine beiden Revolutionskumpanen von 1984, Jean-Baptiste Lingani und Henri Zongo (die Nr.3 und Nr.4 der Revolution nach Sankara und Blaise, Diendéré galt als so etwas wie die Nr.5), die er nach eigener Version 1987 noch selbstlos vor der Verhaftung bewahrte indem er Thomas Sankara leider erschießen musste, hatten daraus dummerweise geschlossen, dass Diendéré sich ihnen genauso verpflichtet fühle wie Blaise. Angeblich weihten sie ihn 1989 in Putschpläne gegen Blaise ein. Diendéré ging daraufhin umgehend zum potentiell Beputschten und erleichterte sein Gewissen indem er alles erzählte, was zur umgehenden Ermordung Linganis und Zongos führte. Möglicherweise, und diese Version ist wahrscheinlicher, hatte aber auch Blaise einfach nicht länger Lust diese beiden ewigen Nörgler um sich zu haben und entschied sich daher für diese Variante. Wie dem auch sei, das eigene Gewissen scheint Diendéré im Laufe seiner Karriere jedenfalls selten in die Quere gekommen zu sein und wenn dann nur, wenn er Blaise das letzte Marzipanplätzchen weggegessen hatte.

Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Diendiéré, über den sich beinahe so viele Schauergeschichten und Mythen erzählt werden, wie über Francois Compaoré (den Bruder von Blaise), noch einen Monat länger durchhielt als sein Ziehvater und dann auch nicht aus dem Land getrieben, sondern ordentlich von seinem Posten abberufen und verabschiedet wurde. Man hätte sich noch eine längere Zeit des Abwartens seitens Präsident Kafando und Premierminister Zida vorstellen können, als bis zum 27.November 2014. Irgendwann musste Diendéré weg, das war klar, dafür war die Zivilgesellschaft nun zu stark geworden, als dass man einfach wieder zur Tagesordnung hätte übergehen können. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt um jemanden abzusägen, der 1000 loyale Männer der Präsidentengarde unter Waffen hat. Und zwar unter modernen Waffen, die auch funktionieren, im Gegensatz zu dem Schrott, mit dem sich die nationale Armee begnügen muss. Jemand der anscheinend exzellente Beziehungen in der Region besitzt, seine Finger in alle dreckigen Geschäfte in Westafrika gesteckt hat, wenn es Blaise für nötig hielt; und der sich dennoch (ähnlich wie Blaise), als der nette Mann präsentieren konnte, der die europäischen Geiseln aus den Händen der AQMI- Terroristen befreit. Schon allein diese Tatsachen zeigen die Prioritäten europäischer Politik und werfen ein Licht auf die Strategie Blaises, die lange hervorragend funktionierte. Nun denn, den idealen Zeitpunkt jedenfalls, um ihn über alle Berge zu jagen, hätte es wahrscheinlich nie gegeben, wenn nicht auch Diendéré eingesehen hätte, dass ohne eigene politische Ambitionen, ohne Blaise und dann noch mit dieser neuen, extrem nervtötenden Zivilgesellschaft beim geheimen Strippenziehen zu viele Knoten entstehen würden. Keiner weiß natürlich was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde und wird, und es liegt in der Natur der Sache, dass über Sachen die keiner weiß, am lebhaftesten spekuliert wird. Welchen Einfluss hat Blaise weiterhin auf Diendéré? Welchen Einfluss hat Diendéré weiterhin auf den Premierminister Zida, immerhin war er ja bis 31.Oktober 2014 dessen Chef? Bestimmt werden die beiden nicht über Nacht zu Todfeinden geworden sein, eher vorstellbar ist, dass sie auch weiterhin bei einem gemeinsamen Brakina über alte Geschichten lachen werden, und wer weiß über was noch…

Aber vielleicht ist seine Straffreiheit und sein ehrenwertes Abdanken auch der Preis, den man zahlen musste, um seiner überhaupt ledig zu werden. In der Bevölkerung hielt man ihn wohl selbst nach der Revolution noch für zu mächtig. Es gab zwar Demonstrationen gegen den Kulturminister, da er als zu eng verbandelt mit Blaise angesehen wurde, und gegen andere Leute, die über die Jahrzehnte zu offensichtlich Mist gebaut hatten und nun hofften im allgemeinen Trubel sich weiter durchmogeln zu können. Aber es ist keine Demonstration bekannt, die die Entlassung Diendérés gefordert hätte oder die vor den Sitz der Präsidentengarde gezogen wäre. Trotzdem die Präsidentengarde einen Großteil der 24 Toten der Revolution zu verantworten hat und trotzdem niemand so sehr für das alte System stand wie Diendéré. Bleibt er im Land wird es hoffentlich unter dem Druck der Zivilgesellschaft zunehmend schwerer werden für alle Verantwortlichen, zu rechtfertigen, warum „der Unantastbare“ nicht vor ein ordentliches Gericht gezerrt wird und sich dort für Dinge verantworten muss, für die er in den USA zehn Mal lebenslänglich bekommen hätte. Sehr unwahrscheinlich allerdings. Der größte anzunehmende Erfolg scheint derzeit, ihn ins Exil zu treiben.

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