Heute bekommt jeder ein kleines Geschenk

Es war auf den ersten Blick eine Rede wie ein Donnerschlag, die der neue Präsident Michel Kafando bei seiner Amtseinführung am vergangenen Freitag hielt. Zuvor hatte Oberstleutnant Zida, seines Zeichens neuer Premierminister, das Zepter (in Form einer burkinischen Fahne) an Kafando übergeben. Kafando hatte bis dahin die Feierlichkeiten in seinem Stuhl lümmelnd verfolgt, wie jemand dem das Fernsehprogramm so gar nicht zusagt, der aber gerade auch nichts Besseres zu tun hat, als vor der Glotze rumzuhängen. Die Staatspräsidenten Westafrikas waren gekommen um standesgemäß dem Neuen in ihren Reihen ihre Anerkennung zu erweisen. Gleichzeitig bot sich ihnen dadurch die Gelegenheit ihnen selbst und ihren Wählern zu zeigen, dass sie im Herzen doch revolutionär geblieben sind, indem sie das Ergebnis dieses Volksaufstands nun angemessen würdigten.


Der mauretanische Staatspräsident Abdel Aziz eröffnete den Glückwunschreigen. Der Armeeoberst erinnert in Gang, Gesten und Körpergröße entfernt an Putin. Er putschte 2008 die gewählte Regierung von der Macht, die zuvor eine Reihe merkwürdiger Entscheidungen getroffen hatte (dummerweise auch jene, Abdel Aziz zu feuern). Er wurde in der Folge Übergangspräsident und ließ sich für die Wahlen im Juni 2009 aufstellen, aus denen er als Sieger somit gewählter Präsident Mauretaniens hervorging.
Danach kam Yaya Boni, Präsident Benins, auf die Bühne und bekundete seine Hochachtung für das burkinische Volk und die neuen starken Männer im Staat. Er selbst hatte am 5.November 2014, nur wenige Tage nach dem burkinischen Volksaufstand, seinen schon im Parlament vorliegenden Antrag auf Änderung der Verfassung zurückgezogen. Diese Änderung hätte ihm eine weitere Amtszeit ermöglichen sollen. Er schwor nach der Rücknahme des Antrags, die Verfassung nicht länger anrühren zu wollen und keine weitere Amtszeit anzustreben.
Nach dem nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou, der seit 2011 im Amt ist und eine relativ gute Figur abgibt, war es an dem senegalesischen Präsident Macky Sall die Bühne zu betreten. Der Beifall fiel im Gegensatz zu seinen Vorrednern sehr bescheiden aus. Macky Sall war 2012 als Herausforderer von Abdoulaye Wade angetreten, der nach zwei absolvierten Amtszeiten hätte abtreten müssen, sich aber eine Kandidatur für eine dritte Amtszeit vor Gericht erstritten hatte. Bei der Präsidentschaftswahl unterlag dann der damals bereits 85jährige Wade dem jetzigen Präsidenten Macky Sall, insbesondere aufgrund einer enormen Mobilisierung der Zivilgesellschaft gegen den Verfassungsbruch. Umso interessanter war, dass Macky Sall es sich in den letzten Monaten nicht nehmen ließ, seine Unterstützung für eine Verfassungsänderung in Burkina Faso auszudrücken, die Blaise Compaoré noch einmal 15 zusätzliche Jahre an der Macht ermöglicht hätten.
Es folgten der malische Präsident Ibrahim Boubacar Keita („IBK“) und der Außenminister Nigerias, der seinen Präsidenten Goodluck Jonathan vertrat. Für den Vertreter Nigerias gab es überhaupt keinen Applaus, wohl weil Goodluck Jonathan ungefähr so beliebt ist wie Francois Hollande und er mit seiner kompletten Unfähigkeit droht, die ganze Region in ernste Schwierigkeiten zu bringen. Nichtsdestotrotz hat Jonathan angekündigt für die anstehenden Präsidentschaftswahlen 2015 wieder kandidieren zu wollen.
Die Blaskapelle spielte und darauf war es an Michel Kafando seine Rede zu halten. Das zivile Publikum, das sich auf den Oberrängen eingefunden hatte, rastete insgesamt zweimal aus. Beim ersten Mal noch kontrolliert, beim zweiten Mal springend, schreiend und applaudierend. Den ersten Ausbruch der Freude war die Erklärung Kafandos vorausgegangen, sich gegen Korruption stark zu machen, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft nicht weiter zu dulden und eine „wirkliche soziale Gerechtigkeit“ schaffen zu wollen. Dies beinhalte auch, die großen Betrüger nicht länger damit durchzukommen zu lassen: „Wir werden schon bald mit ihnen abrechnen.“ Große Freude im Publikum.
Wenig später dann folgende Sätze: „Im Namen der Versöhnung habe ich mittels meiner Befugnisse entschieden, dass die Untersuchung zur Identifizierung der sterblichen Überreste Thomas Sankaras nicht länger von der Entscheidung der Justiz abhängt sondern nun Angelegenheit der Regierung ist. Die Zustimmung zu einer Untersuchung wurde bereits heute erteilt.“ Alles jubelte, die gezeigten Menschen lagen sich in den Armen, schrien und sprangen auf ihren Sitzen. Auch die anwesenden Militärs und Staatsgäste klatschten. Aber letztere dann doch noch etwas reservierter.
Die Rede von Michel Kafando kann Mut machen, doch das unglaubliche Maß an Populismus, das sich in den letzten Wochen bei Zida und Kafando gezeigt hat, lässt unweigerlich ein flaues Gefühl im Magen zurück. Die Reden strotzen vor Pathos, es scheint dass der Bevölkerung jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wird. Der Chef des staatlichen Stromkonzerns SONABEL, Jean Christophe Ilboudo, ehemaliger Gefolgsmann Compaorés, wurde entlassen und verhaftet. Er hatte anscheinend während der Unterzeichnung der Übergangscharta, die letzte Woche live im Fernsehen übertragen wurde, in weiten Teilen der Hauptstadt den Strom abstellen lassen. Der Chef der staatlichen Mineralölgesellschaft wurde entlassen. Alle Gemeinderäte aufgelöst. Das „Mausoleum der Nationalhelden“, ein riesiger Klotz im Viertel Ouaga 2000, wird in „Mausoleum der Märtyrer der Revolution“ umbenannt und soll den Opfern des Volksaufstands gewidmet werden. Das Krankenhaus „Hôpital Blaise Compaoré“ wurde umbenannt in „Hôpital Hama Arba Diallo“, einen verstorbenen Oppositionellen. Der Eintritt zum letzten Spiel der Qualifikation zum Afrika-Cup gegen Angola in Ouagadougou war auf Anordnung Zidas frei. Immer wieder Erklärungen, nach denen man mit den Korrupten und den zu Unrecht reich gewordenen nun abrechnen werde. Und Thomas Sankara, der Nationalikone schlechthin, soll nun endlich Gerechtigkeit widerfahren mittels einer Untersuchung zu seinen Todesumständen.
Der Großteil dieser Aussagen und Taten ist grundsätzlich zu begrüßen, wäre da nicht der klitzekleine Umstand, dass Oberstleutnant Zida bis vor 3 Wochen noch ein Mann des Systems war. Und nicht irgendein Mann des Systems, sondern die Nr.2 der Präsidentengarde. Zur Erinnerung, die Nr.1 der Präsidentengarde war ein Mann namens Gilbert Diendéré, der nach eigenem Bekunden, an der Ermordung Thomas Sankaras direkt beteiligt war. Der als der bestinformierte Mann im Staat galt und gilt, und ohne den Blaise Compaoré wahrscheinlich nicht 27 Jahre an der Macht geblieben wäre. Um also beispielsweise die Untersuchung zum Verbleib der Überreste Sankaras abzukürzen, könnte man auch Diendéré fragen. Unwahrscheinlich dass er es nicht weiß. Oder man könnte ihn verhaften lassen, für die vielen Toten des 30. und 31.Oktobers, die in die Verantwortung der Präsidentengarde fallen. Doch dies passiert nicht, und das macht stutzig. Auch bei Kafando, der als ausgewiesener Feind Sankaras zu dessen Lebzeiten galt, hatte sich bis November 2014 nicht als sonderlich revolutionär hervorgetan. Er ist ebenso ein Mann des Systems Compaoré. Hinzu kommt ein gewöhnungsbedürftiges Politikverständnis, nach dem auf Geheiß des Präsidenten Verhaftungen angeordnet werden können oder wie im Falle der Untersuchung zu Sankaras sterblichen Überresten, die Regierung der Judikative die Entscheidungsgewalt entzieht. Möglicherweise haben, wie bereits geschrieben, Kafando und Zida ausschließlich gute Absichten und sehen sich erst jetzt, nach dem Sturz Compaorés in der Lage, diese zu verfolgen. Möglich und wünschenswert, aber Zweifel sind angebracht.
Eine geläufige Formulierung dieser Tage, gebraucht von Zida und Kafando, ist „Wir haben verstanden.“ Auch Guido Westerwelle hatte im März 2011 nach einer Reihe verheerender Wahlniederlagen bekanntgegeben „Wir haben verstanden“. Sehr schnell wurde jedoch klar, dass er und seine Partei nichts verstanden hatten. Sie hatten sogar so wenig verstanden, dass sie in den folgenden Monaten die FDP auf direktem Weg in die ewigen Jagdgründe der deutschen Parteiengeschichte ritten. So schlimm steht es um Burkina keineswegs. Dass was heute ist, ist eindeutig besser, als das, was noch vor dem 31.Oktober war und wenn man Zida und Kafando reden hört, fällt es schwer ihnen nicht zu vertrauen. Doch viele Burkinabé (wenn auch immer weniger) sind weiterhin kritisch ob der Dinge die da kommen, und es bleibt zu hoffen, dass das so bleibt.

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