Vor Erleichterung die Luft anhalten

Trockenzeit in Burkina Faso. Das Gras wird gelb und verschwindet, der rote Sand wühlt sich ans Tageslicht und steigt in die Luft und füllt Nase und später Lungen der Menschen. Ein kühles Brakina hilft, 600 CFA, nicht mal ein Euro, viel Kohlensäure, 4,2% Alkohol in einer 66cl-Flasche. Es macht aus dem Sand, der sich überall im Inneren der Körper festsetzt, Schlamm. Und wer will bestreiten, dass Schlamm nicht besser abfließt als Sand.
Doch die Trockenzeit, die sich im Oktober vorbereitet und im November langsam zu voller Blüte heranreift, wurde von der Revolution aufgehalten. Seit dem Sturz Compaorés regnet es in den südlichen Teilen Burkinas täglich. Gewittern ziehen von der Elfenbeinküste auf und prasseln nachts auf die Dächer nieder. Unter den Dächern liegen die Schlafenden, mit ihren Hoffnungen, Ängsten, Träumen und ihren persönlichen Erwartungen an das Leben. Es geht ihnen in diesem Moment nicht anders, als allen anderen Schlafenden auf dieser Welt.
Doch die Schlafenden haben sich am folgenden Tag wieder erhoben, und sie haben das Radio oder den Fernseher eingeschaltet oder sich mit ihren Verwandten und Freunden und Bekannten unterhalten, um sich über die neuesten Entwicklungen in Burkina Faso zu informieren. Und was man ihnen miiteilte war, dass der neue Präsident Michel Kafando eine Erklärung abgegeben hat. Dass er nicht länger dulden will, dass es eine Präsidentengarde gibt, die eine Armee in der Armee ist. Dass diejenigen, die sich der Vetternwirtschaft, Korruption oder Unterschlagung unter Blaise schuldig gemacht haben, damit nicht länger davonkommen werden. Dass er als Präsident nicht gedenkt eine Marionette des Premierministers oder der Armee zu sein und dass die Armee bewiesen hat, dass sie eine Armee des Volkes ist.
Die Mehrheit der Menschen scheint zufrieden mit der gefundenen Lösung für den Übergang zu sein. Das Wichtigste ist Stabilität und Sicherheit, insbesondere nach den Erfahrungen der Plünderungen im Nachgang der Demonstrationen. Bei einer vom staatlichen Rundfunksender RTB durchgeführten Strassenbefragung, die gestern Abend im TV ausgestrahlt wurde, zeigten sich alle Interviewten zufrieden mit der Besetzung der beiden höchsten Ämter und betonten immer wieder, wie wichtig es sei, den Frieden zu erhalten. Zida ist der starke Mann, den jetzt viele sehen möchten. Er hat ausreichend Vertrauen aufgebaut, so dass ihm auch sein militärischer Hintergrund nicht zum Makel gereicht. Die Herangehensweise unter vielen Burkinern ist ein ganzes Stück pragmatischer, als es viele europäische Beobachter sehen wollen. Man hat das Beispiel Mali vor Augen, wo nach der Absetzung von des Präsidenten ATT (Amadaou Toumani Touré) das Land schlussendlich durch eine französische Militärintervention gerettet werden musste. Man kann sich auch noch gut an den Krieg in der Elfenbeinküste erinnern, der Burkina durch die vielen dort lebenden Landsleute direkt betraf. Man hat also gute Gründe, nicht alles für ein Prinzip in die Waagschale zu werfen.
Entgegen der im TV ausgestrahlten Bilder muss ich allerdings sagen, dass alle Burkinabés mit denen ich geredet habe, der Entscheidung, Zida zum Premierminister zu machen mindestens skeptisch gegenüberstehen. Der Ausdruck vom „Diebstahl der Revolution durch das Militär“ war sehr oft zu hören. Die erste Euphorie ist ohne Frage erstorben. Jedenfalls unter denen, die sich als Sankaristen bezeichnen würden, und das sind nicht wenige. Die Bürgerbewegung von „Le Balai Citoyen“ (ich erspare mir eine wörtliche Übersetzung, die TAZ übersetzte den Namen mit „Besenbürger“ oder „Bürgerbesen“, gemeint ist sowas wie „Bürger, die ausfegen“), die an der Spitze des zivilgesellschaftlichen Protests stand, stellte (sich selbst) heute folgende Fragen:

• Was ist unsere Position zur Übergangscharta und den geschaffenen Übergangsorganen?
• Stellt Präsident Kafando nicht die Fortsetzung des Systems Compaoré dar ?
• Versucht sich die Armee, mit Zida als Premierminister, weiter an die Macht zu klammern?
• Was ist die Position der « Balai Citoyen » zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen die sich nun um die Plätze im Übergangsparlament bekämpfen?
• Was sind unsere Vorschläge um die wirtschaftlichen Verbrechen und das Blutvergiessen der Ära Compaoré aufzuarbeiten?
• Wie wird mit den Verantwortlichen der Ex-Regierung verfahren?

Die Bürgerbewegung, die maßgeblich am Umsturz beteiligt war, hat lange nichts mehr von sich hören lassen. Zu den Geschehnissen der letzten Woche wurden keine Kommentare abgegeben. Doch um dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, nämlich dafür zu sorgen, dass sich das Volk die errungene Freiheit nicht wieder nehmen lässt, muss sie die oben genannten Fragen beantworten. Eben weil die „Balai Citoyen“ zuletzt schwiegen, gibt es außer vielen besorgten Kommentaren in den sozialen Netzwerken, keine vernehmbare Stimme der Zivilgesellschaft und somit auch keine klare Position zu den Entwicklungen seit der Ernennung des Präsidenten Kafandos. Es herrscht ein diffuses Unwohlsein, wahrscheinlich insbesondere unter denen, die zwischen dem 28. Und 31.Oktober tatsächlich auf der Straße waren. Doch es ist im Moment niemand da, der dieses Unwohlsein artikulieren und kanalisieren kann. Die „Balai Citoyen“ haben für nächste Woche eine Pressekonferenz einberufen, in der sie die formulierten Fragen beantworten wollen.
Es stellt sich wohl so dar, dass Zida die breite Masse schnell von sich und seinen guten Absichten überzeugen konnte (und möglicherweise hat er auch diese guten Absichten). Die Aktivisten, die die auf der Straße in vorderster Front standen und jene die sich mit deren politischen Zielen, die in Richtung Sankarismus gehen, identifizieren, sehen die Macht, die das Volk so mühsam errungen hat, nun wieder in die Hände alter Männer gleiten, die dem System Compaoré alles andere als feindlich gegenüberstanden.

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